(ich möchte anmerken, daß ich - auch wenn ich gestern darüber nachgedacht hab, ob ich in die Schweiz umziehen soll/will - kein Schweizer bin)
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http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57686
Wir sind alle Schweizer03.12.2009
Euro-IslamAm Erstarken antiislamischer Ressentiments in Europa, das im aktuellen Schweizer Referendum über das Minarett-Bauverbot erkennbar wird, ist Berlin keineswegs unbeteiligt. Vor allem nach dem 11. September 2001 hatten die Bundes- und die Landesregierungen eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt, welche die in Deutschland lebenden Muslime unter Generalverdacht stellten - von der Rasterfahndung, die insbesondere auf Menschen islamischen Glaubens gemünzt war [1], über Kopftuchverbote, die sich ausschließlich gegen muslimische Frauen, nicht aber gegen christliche Kleiderordnungen richteten [2], bis zu starkem Druck, Gebetsveranstaltungen in deutscher Sprache durchzuführen, um stetige Polizeikontrollen zu ermöglichen. Die Maßnahmen begleiteten die Gewaltpolitik des Westens in den islamisch geprägten Staaten in Nah- und Mittelost (Kriege in Afghanistan und Irak, Sanktionsdruck auf Iran und teilweise Syrien) und wurden um gelegentliche Lockmittel ergänzt (so die "Islam-Konferenzen" des Bundesinnenministeriums), die auf die Schaffung eines mit der westlichen Hegemonie uneingeschränkt kompatiblen muslimischen Glaubens zielten ("Euro-Islam").
RassismusWie improvisierte Medienumfragen der vergangenen Tage zeigen, haben die Maßnahmen in Deutschland auch die breite Öffentlichkeit erreicht - die Zustimmungswerte für Repressalien gegenüber dem Islam, etwa für ein Minarett-Bauverbot, erreichen Mehrheiten von bis zu 80 Prozent. Damit verzeichnet die Bundesrepublik mutmaßlich stärkere antiislamische Ressentiments als die Schweiz. Rassistische Äußerungen eines Vorstandsmitglieds der Bundesbank, die sich vor allem gegen Migranten muslimischen Glaubens richteten ("Kopftuchmädchen") und den Affront weitertrieben, sind kürzlich von der Justiz als zulässig eingestuft worden. Der Banker, Thilo Sarrazin (SPD), bleibt im Amt und nimmt weiter an der öffentlichen Debatte um muslimische Einwanderer teil.[3]
Eine BelastungBerlin reagiert dennoch reserviert, teilweise auch ablehnend auf das Schweizer Minarett-Bauverbot und ähnliche Vorhaben in Deutschland. Hintergrund sind Befürchtungen, ein allzu offener Affront gegenüber dem Islam erschwere die politischen und wirtschaftlichen Expansionsvorhaben in den islamisch geprägten Ländern in Nah- und Mittelost. Das Endresultat der Schweizer Abstimmung sei "für Europa insgesamt eine Belastung", äußert der Staatsminister im Auswärtigen Amt Werner Hoyer.[4] Dass die Befürchtungen nicht unbegründet sind, zeigen die beginnenden Auseinandersetzungen zwischen islamisch geprägten Staaten und der Schweiz. Nach dem Boykottaufruf des türkischen Europaministers gegen Schweizer Banken am gestrigen Mittwoch sieht die Wirtschaft des Landes ihre Warnungen bestätigt. Das "Signal", das von dem Bauverbot ausgehe, "kann uns auf längere Sicht schaden", urteilt der Chef einer großen Privatbank aus Zürich.[5] Ähnliche Warnungen sind auch aus deutschen Unternehmerkreisen zu hören.
Christliches AbendlandTrotz der Gefahren für die Wirtschaftsexpansion nach Nah- und Mittelost lassen deutsche Befürworter christlicher Integrationsmodelle Verständnis für die antiislamischen Ressentiments erkennen. "Unsere Dörfer und Städte sind geprägt von abendländisch-christlicher Baukultur", erklärt der Innenpolitiker Hans-Peter Uhl (CSU): "Moscheen oder Minarette" wirkten "als Fremdkörper einer Religion, die hier nun mal nicht heimisch ist."[6] Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärt das Schweizer Referendum zum "Warnsignal" und verlangt die Einordnung von Migranten: "Wir erwarten", hatte er schon anlässlich der Berliner "Islam-Konferenz" im März 2008 gefordert, "dass diejenigen, die in unser Land kommen, um hier zu leben, unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen und respektieren."[7] Grund solcher Äußerungen sind Vorstellungen aus der konservativ-christlichen Soziallehre, welche die EU auf einer tradiert-kirchlichen Basis in eine kontrollierbare Einheit transformieren wollen ("christliches Abendland"). Die aktuelle Zuspitzung, die durch die antiislamischen Maßnahmen der Bundesregierung befördert wurde, spielt Befürwortern solcher Modelle in die Arme - aber auch der extremen Rechten.
MoscheeverbotsschildSo kündigen die nordrhein-westfälischen Organisationen "Pro Köln" und "Pro NRW", die beide der extremen Rechten zugeordnet werden, eine "landesweite Kampagne" unter dem Motto "Wir alle sind Schweizer" an.[8] Die Kampagne soll "Solidarität mit dem schweizerischen Volk bekunden" und seiner "mutigen Entscheidung den nötigen Respekt zollen". "Es wird T-Shirts mit Schweizer Flagge und unserem Markenzeichen, dem Moscheeverbotsschild, geben und zusätzlich natürlich eine ganze Menge Flugblätter zum Thema, die unsere Aktivisten landesweit verteilen", heißt es bei "Pro NRW".[9] "Pro Köln", die Keimzelle der landesweiten Organisation "Pro NRW", hat bei den letzten Wahlen in der westdeutschen Großstadt Köln rund 5,4 Prozent erzielt und sich damit, wenn auch noch auf mäßigem Niveau, stabilisiert. "Pro NRW" will im nächsten Mai in den Landtag des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen einziehen und leitet mit seiner Schweiz-Kampagne in den Wahlkampf über. Die beiden Organisationen werden von einem Netzwerk extrem rechter Zusammenschlüsse aus anderen Staaten Europas unterstützt, darunter der belgische Vlaams Belang sowie die österreichische FPÖ (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Sie knüpfen vor allem an das antiislamische Potenzial in der Bevölkerung an, das in den letzten Jahren stark gewachsen ist - nicht zuletzt aufgrund massiver Schützenhilfe aus Berlin.
[1] s. dazu Deutsche Polizei erfasst Daten vieler Tausend Ausländer
[2] Die Kopftuchverbote und die Debatte darum beschränkten sich stets auf muslimische Frauen, die konservativen Milieus entstammen und eine Kopfbedeckung tragen. Konservative Milieus im Christentum kennen ebenfalls Kleiderordnungen. Diese schreiben nicht nur die Tracht von Mönchen und Nonnen fest, sondern beinhalten in bestimmten Fällen, so etwa bei manchen Evangelikalen, auch Kleidungszwänge für Frauen, die Röcke tragen müssen. Dass evangelikale Kleidungszwänge für Frauen zulässig seien, ist im Verlauf der Kopftuchdebatte zu keiner Zeit in Frage gestellt worden.
[3] s. dazu Elite gegen Unterschicht, Ökonomisch nutzlos und Die politische Mitte
[4] Berlin warnt vor Konflikt mit muslimischer Welt; Handelsblatt 30.11.2009
[5] Schweizer Volk brüskiert Wirtschaft; Handelsblatt 01.12.2009
[6] Berlin warnt vor Konflikt mit muslimischer Welt; Handelsblatt 30.11.2009
[7] Innenminister Herrmann: Muslime in Deutschland müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen; Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern 13.03.2008
[8] Wir alle sind Schweizer! www.pro-koeln-online.de
[9] "Viva Helvetia" - Wir alle sind Schweizer! www.pro-nrw.net
[10] s. dazu Europa der Rechtsextremisten (II), Deckmantel "Bürgerbewegung" und Die Achse Antwerpen-Köln-Wien